Wenn das Bargeld digital wird: Beim E-Euro sind noch viele Fragen offen
Anfang November beginnt die Europäische Zentralbank mit der sogenannten Vorbereitungsphase für den digitalen Euro. Das heißt, sie wird in den kommenden zwei Jahren ausloten, wie das digitale Zentralbankgeld technisch umgesetzt werden kann und wie die rechtlichen Leitplanken dafür aussehen müssen. Dazu wird die EZB unter anderem Anbieter für die Entwicklung einer CBDC-Plattform (Central Bank Digital Currency) auswählen und weitere Tests durchführen.
Der digitale Euro soll gesetzliches Zahlungsmittel werden, aber das Bargeld nur ergänzen, nicht ersetzen. Banken könnten den digitalen Euro dann wie Bargeld von den Notenbanken beziehen. Verbraucher bekämen ihn in einer digitalen Geldbörse gutgeschrieben.
In einer immer digitaleren Welt will die EZB so die Hoheit über die Geldschöpfung behalten – und nebenbei vielleicht auch ein Stück europäische Souveränität demonstrieren. Schließlich gibt es derzeit kein größeres Zahlungssystem, das nicht aus den USA stammt. Deshalb arbeitet sie nicht „nur“ an einer digitalen Version des Bargelds, sondern auch an einem Abwicklungssystem für Transaktionen und an einer Smartphone-App für die Bürger.
Ob die EU-Länder am Ende der Vorbereitungsphase tatsächlich grünes Licht für die europäische Digitalwährung geben, ist allerdings noch nicht ausgemacht. Im digitalen Portemonnaie der Europäer wird er frühestens im Jahr 2026, wahrscheinlich sogar erst im Jahr 2028 ankommen.
Lange Wunschliste der Banken
Dennoch hat das Projekt in der klassischen Finanzwelt bereits viele Diskussionen ausgelöst. Die Deutsche Kreditwirtschaft als Dachverband der deutschen Banken hat bereits einen langen Anforderungskatalog an den digitalen Euro formuliert und fordert unter anderem ein Zinsverbot und eine Begrenzung der Zahlbeträge. Vor allem aber dürfe der digitale Euro kein Bezahlverfahren werden und damit in Konkurrenz zu bestehenden Angeboten treten.
Zuletzt hat LBBW in einer Studie argumentiert, der digitale Euro hätte für den Verbraucher wenig Nutzen – und damit die wesentliche Kritik am digitalen Euro untermauert: Niemand in Europa braucht ihn so richtig dringend. Seinen Mehrwert muss der digitale Euro deshalb erst noch beweisen. Davon wird abhängen, ob die Europäer auch damit zahlen wollen – oder doch lieber bei den vielen anderen Bezahl-Möglichkeiten bleiben, die es schon gibt.
Chance für ein europäisches Ökosystem
Und die Fintechs? Begrüßen sie die Pläne für einen digitalen Euro – sollte er denn kommen? Für Lukas Enzersdorfer-Konrad, stellvertretender CEO von Bitpanda, bestünde die wesentliche Veränderung in einer erhöhten Stabilität und Vertrauen, „da ein digitaler Euro, wenn er ordnungsgemäß aufgesetzt ist, als Brücke zwischen der traditionellen Finanzwelt und der breiteren digitalen Assets-Branche dienen könnte“.
Der Prozess der Einführung eines digitalen Euros würde dann auch die Festlegung von Sicherheits- und Qualitätsstandards für die gesamte Branche umfassen. „All diese kleinen Veränderungen würden neue Chancen im Ökosystem der digitalen Vermögenswerte schaffen“, sagt Enzersdorfer-Konrad. Was ihn stört: Der aktuelle Vorschlag birgt noch viele Risiken: Es gibt keine klare Anwendungspraxis für den Einzelhandel, warum dies verwendet werden sollte, da es im Vergleich zu Kartenzahlungen von heute keine zusätzlichen Vorteile bietet, und die technische Infrastruktur ist noch nicht definiert, und daher bleibe dies eine große offene Frage.
Erfolgsfaktor Akzeptanz
In einer Zeit, in der physisches Bargeld weniger genutzt und weniger attraktiv wird, biete der digitale Euro Vorteile. „Allerdings müssen die Menschen, wenn die EU eine einheitliche digitale Währung einführen möchte, diese tatsächlich verwenden können, und es muss eine gültige Anwendungspraxis geben“, sagt Enzersdorfer-Konrad. Bislang ist aber selbst die Einführung von Kartenzahlungen in der gesamten EU äußerst ungleichmäßig.
Wenn der digitale Euro ernsthaft angenommen werden soll, muss er in der gesamten EU als gesetzliches Zahlungsmittel akzeptiert werden. (Lukas Enzersdorfer-Konrad, Bitpanda)
„Wenn der digitale Euro ernsthaft angenommen werden soll, muss er in der gesamten EU als gesetzliches Zahlungsmittel akzeptiert werden – also von jedem Händler, in jedem EU-Land, in jedem Geschäft. Entweder es ist ein digitaler Euro oder es ist keiner.“ Selbst in Deutschland gebe es immer noch viele Orte, an denen man nicht mit Kartenzahlung seine Rechnung begleichen kann. „Diese grundlegende Akzeptanz muss entweder gefördert oder vorgeschrieben werden, bevor eine echte digitale Währung eingeführt werden kann“, sagt Enzersdorfer-Konrad.
Giralgeld, E-Geld, Stablecoins – und dann noch der digitale Euro
Für viele Neobanken und Neobroker sind die Pläne der EZB noch sehr weit weg. Schließlich wird der digitale Euro frühestens im Jahr 2026 bei den Europäern ankommen. „Interessanter ist die Entwicklung des digitalen Euro dagegen schon jetzt für Anbieter, die aktuell über die Herausgabe von Stablecoins in Europa nachdenken“, meint Kevin Hackl, Bereichsleiter Digital Banking & Financial Services beim Digitalverband Bitkom.
Die Markets in Crypto Assets Regulation (MiCAR) definiert künftig auch die Regeln für Stablecoins. „Ich erwarte, dass es auf diesem Gebiet in den kommenden Jahren Innovations-Sprünge geben wird, weil die neuen europäische Regulierung klare Regeln für Stablecoins vorgibt. Kommt der digitale Euro dann wirklich in vier bis fünf Jahren, wird das Marktumfeld also anders aussehen als heute“, sagt Hackl.
Digitale Zentralbankwährungen (CBDC) werden das Spektrum erweitern und eine eigene Nische finden. (Peter Großkopf, Ultimate)
Ähnlich sieht das Peter Großkopf, der mit seinem Startup Ultimate eine Wallet zum Kauf und Verkauf von Token und NFT baut, in der Szene aber auch als Vordenker in der Blockchain-Welt bekannt ist. In seinen Augen zeigen die Entwicklungen rund um Stablecoins, wie sich digitale Währungen anfühlen könnten: „Sie sind programmierbar und die Nutzerin kann sich eine oder mehrere Wallets aussuchen“, sagt Großkopf. In so eine Wirklichkeit müsste sich der digitale Euro also in drei bis fünf Jahren erst einmal einfügen.
„In Europa haben wir bereits heute mehrere ‚digitale Euros‘, zum Beispiel Giralgeld und E-Geld, und mit der MiCA-Regulierung kommen Stablecoins als weitere Form dazu“, sagt Großkopf. Jede dieser Formen von Geld habe ein eigenes rechtliches Konstrukt gepaart mit einer Technologie. „Digitale Zentralbankwährungen (CBDC) werden das Spektrum erweitern und in meinen Augen eine eigene Nische finden“, glaubt er. Der digitale Euro werde für Retailkunden, also den eigentlichen Nutzer, beispielsweise offline im Einzelhandel einsatzfähig sein und der sogenannte Wholesale CBDC, eine Version speziell für Finanzinstitute, zwischen Banken und Handelsplätzen.
Bitkom: Der digitale Euro muss inklusiv sein
Die Fintechs könnten sich beim digitalen Euro aus seiner Sicht noch aktiver einbringen. „Digitale Zentralbankwährungen sind die nächste Entwicklungsstufe von Geld. Wir sollten hier Vorreiter sein, um auch diese Entwicklung zu dominieren“, sagt Großkopf. Was ihn stört: Die aktuellen Planungen sehen vor, dass sowohl der Retail als auch der Wholesale digitale Euro von Banken herausgegeben und verarbeitet werden sollen. „Die Rollenverteilung zwischen Banken und Fintechs bliebe also die alte.“
Dem Digitalverband Bitkom ist vor allem wichtig, dass der digitale Euro transparent und offen gestaltet wird. „Das digitale Europa kann nur dann funktionieren, wenn der digitale Euro möglichst inklusiv genutzt werden kann und nicht exklusiv“, sagt Hackl. Was er problematisch findet: In der Diskussion wird der Begriff digitaler Euro oft synonym verwendet für den Token, die Infrastruktur und ein mögliches Wallet-Produkt – „ob er am Ende des Tages all das sein wird, ist aber noch gar nicht ausgemacht“, sagt der Bitkom-Fachmann.
Viele Wallets für den E-Euro
Trotzdem wird jetzt schon darüber spekuliert, ob die European Payments Initiative (EPI) exklusiv an den digitalen Euro angebunden werden könnte. Der Zusammenschluss europäischer Zahlungsdienstleister arbeitet an einer europäischen Bezahl-Wallet und gehört zu den Auserwählten, die für die EZB bei der Entwicklung der digitalen Euros an Prototypen bauen dürfen. Mit dabei waren außerdem Amazon als Berater für die E-Commerce-Bezahlungen, die spanische Caixa-Bank, die französische Bezahlplattform Worldline und die italienische Bank Nexi.
Die EZB würde nicht auf die Idee kommen, dem Nutzer vorzuschreiben, welche Brieftasche er zur Aufbewahrung des Bargelds nutzen soll – deshalb sollte sie das auch nicht in der digitalen Welt tun. (Kevin Hackl, Bitkom)
Die Gefahr, dass die EZB bestimmten Anbietern einen exklusiven Vorzug geben wird, hält Hackl allerdings für sehr gering. „Die EZB würde nicht auf die Idee kommen, dem Nutzer vorzuschreiben, welche Brieftasche er zur Aufbewahrung des Bargelds nutzen soll – deshalb sollte sie das auch nicht in der digitalen Welt tun.“
Allerdings will die EZB durchaus Vorgaben für die Funktionsweisen von Frontends machen, wie es in einem Meinungsbeitrag von Alexander Bechtel und Manuel Klein in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung heißt. Die beiden Autoren befürchten, dadurch könnten die Entwicklungsmöglichkeiten eigener Lösungen von Zahlungsdienstleister und Banken beschränkt werden. „Dies könnte dazu führen, dass der digitale Euro den rasanten technischen Entwicklungen im Markt nicht folgen kann und bereits bei seiner Einführung in wenigen Jahren veraltet ist“, warnen sie und plädieren dafür, die EZB möge privaten Anbietern möglichst viele Freiheitsgrade in der Entwicklung neuer Funktionen in eigenen Frontends lassen.