Der rätselhafte Crash des Tether-Dollars
Der weltweit stärkste Stablecoin ist eingebrochen – gegen den nigerianischen Naira. Die Suche nach den Ursachen führt tief in ein Labyrinth spannender Vermutungen.
Kürzlich gab einen Moment, als hätte die Matrix Schluckauf. Und zwar geschah das Folgende:
Auf einem P2P-Marktplatz von Binance stürzte der Tether-Dollar ab – gegen den nigerianischen Naira. Das war am 2. und 3. November. Der USDT-Kurs fiel in zwei Tagen von 1.200 auf 790 Naira. Bald darauf kletterte er wieder auf 1.000 Naira.
Was ist da passiert? Warum brach der stärkste und stabilste Stablecoin ein – und warum gegen eine eher labile Währung aus der dritten Welt, deren Geldmenge mit etwa 52 Milliarden Dollar noch unter der von Tether liegt? Ist es nur ein Rauschen im Wald? Oder steckt mehr dahinter: Gibt der Absturz von Tether den Blick auf etwas Tieferes frei?
Der Naira
Man muss über den Naira, die Währung von Nigeria, kurz NGN, vor allem eines wissen: Er hat zwei Wechselkurse.
Der eine, der offizielle, gilt für Investoren, Exporteure und Banken. Er liegt in einem Kanal, der von der Zentralbank (CBN) dirigiert wird. In der ersten Novemberwoche bewegte er sich zwischen 909 und 780. Dass sind Schwankungen, aber weit entfernt von denen, die auf dem P2P-Marktplatz von Binance zu beobachten waren.
Der zweite Wert ist der Schwarzmarkt-Preis. Er liegt tiefer, derzeit bei gut 1.000 Naira je Dollar. Das ist die übliche Folge von Preiskontrollen: Der Markt sucht sich einen Weg um sie herum.
Ende Oktober war der Schwarzmarktpreis auf 1.300 gefallen, nachdem es zu einem Mangel an Devisen gekommen war. Die Dollar waren knapp geworden, die Liquidität trocknete aus, und der Dollarpreis stieg.
Der Tether-Markt auf Binance bildet also die Schwarzmarkt-Preise ab. Doch für einem Moment, am 3. November, als der Crash auf dem Boden ankam, glich er sich dem offiziellen Kurs an. Das ist das merkwürdige Ereignis, das wir erklären wollen.
Die Zentralbank zahlt Devisen aus
Der nigerianische Tribune berichtet über den Tether-Crash. Er bietet drei Erklärungen an.
Die erste beginnt damit, dass die Zentralbank das Forex-Backlog von internationalen Banken geklärt hat. Auf deutsch: Sie hat rund 80 Prozent der fälligen Devisen-Verbindlichkeiten beglichen und damit rund 6,7 Milliarden Dollar an Unternehmen ausgezahlt.
Der Dollarstrom tränkte den Markt, sowohl den offiziellen als auch den „parallelen“. Die Naira gewann um rund fünf Prozent. Auf den Schwarzmärkten, wo der wahre Preis unkontrollierter durchsticht, schalteten Spekulanten teilweise von Panik-Kauf zu Panik-Verkauf (von Dollars) um.
Es ist zwar naturgemäß schwer festzustellen, wie weit der Schwarzmarktpreis abgerutscht ist. Allerdings berichtet Nairametrics darüber, dass der Naira-Preis für „P2P“ – also Tether – auf 1/900 Dollar gestiegen, aber auf dem Schwarzmarkt bei 1.000 bis 1.100 geblieben sei.
Der Tether-Kurs fiel also stärker als der Dollar-Kurs auf dem Schwarzmarkt. Das Forex-Clearing ist sicherlich ein Teil der Erklärung – aber nicht die ganze.
Geht die Zentralbank gegen Binance vor?
Der Tribune bietet einen weiteren Grund an: Die Zentralbank gehe härter gegen den P2P-Marktplatz von Binance vor.
Dies geschieht tatsächlich. Die Börsenaufsicht (SEC) hat Binance schon seit einigen Jahren auf dem Kieker, und erst im Juni hat sie die Börse aufgefordert, den Handel mit Naira einzustellen, da sie regulatorische Auflagen verletze. Daraufhin hat Binance den Handel mit Naira auf seine P2P-Plattform verlegt. Die Sorge, dass auch diese geschlossen werden, meint der Tribune, verunsichere nun Händler und führe zu einem Liquiditätsengpass.
Wäre dem so, müsste dies aber ein längerfristiger Trend sein, der sich im Handelsvolumen bemerkbar macht. Dieses steigt aber seit Herbst 2022 kontinuierlich an. Ein Liquiditätsmangel ist nicht zu sehen, vor allem nicht ein so spontan entstandener.
Der Chart zeigt alles, aber keinen Marktplatz, auf dem das Volumen versickert. Interessanter ist daher die dritte Spekulation des Tribune.
Zentral manipulierte Preise
Das Magazin mutmaßt, ob die Zentralbank die Kurse auf Binance manipuliert hat. Es gab schon 2021 Berichte, dass die CBN die P2P-Märkte infiltriere. Nach dem Einbruch des Naira könnte sie versucht haben, die P2P-Preise wieder auf die offiziellen Kurse zu drücken, um die Situation zu stabilisieren.
Binance-Boss Changpeng Zhao nährte diese Gerüchte, indem er auf Twitter genau am 2. November eine nigerianische Flagge ohne weiteren Kommentar postete. Man könnte das so deuten, dass er eine staatliche nigerianische Behörde als Kunde begrüßt.
Dafür spricht auch, dass der P2P-Markt für Bitcoin und Naira ähnlich reagierte. Am 2. November hatte ein Bitcoin 41,2 Millionen Naira gekostet – das entspricht nach offiziellen Kursen 52.360 und nach Schwarzmarktpreisen etwa 34.300 Dollar. Danach fiel er auf 27 Millionen Naira – was 34.300 oder, nach Schwarzmarktpreisen, 27.000 Dollar entspricht.
Der Naira hatte sich auf Binance also an den offiziellen Kurs angepasst.
Falls die Zentralbank dies tatsächlich herbeigeführt hat, griff die Maßnahme aber nur kurzfristig. Heute steht Bitcoin wieder bei knapp 37 Millionen Naira, was nach offiziellem Kurs mehr als 46.000 Dollar wären, aber nach Schwarzmarkt-Kursen recht genau den Dollarkurs von Bitcoin trifft. Binance ist zurück im Parallel-Markt.
Die Wagner-Connection
Man könnte das Kursgeschehen schließlich geopolitisch deuten. Das ist, zugegeben, spekulativ bis nebulös. Aber es ist eine Variante.
Der Naira ist nach dem südafrikanischen Rand die zweitwichtigste Währung Afrikas. Er ist relativ weit akzeptiert, aber weniger stark reguliert und in westliche Sanktionsregime eingebunden wie der Rand. Das macht ihn zu einer guten Option, um Geld abseits der offiziellen Kanäle zu versenden, etwa wenn man von der Zehe bis zum Scheitel mit Finanzsanktionen bepflastert wurde.
Wie etwa die Gruppe Wagner, jene russische Söldnergruppe, die in der Ukraine gemordet hat, aber auch auf dem afrikanischen Kontinent ihr blutiges Handwerk verrichten. Es gibt Hinweise, dass sie Bitcoin, USDT und Naira verwendet, um afrikanische Operationen zu finanzieren oder deren Erträge rückzuführen. Die P2P-Märkte von Binance spielten dabei angeblich eine zentrale Rolle, wofür man Hinweise in Preis- und Volumenspitzen sehen kann.
Eine große Nachfrage nach Naira hätte in dieser Situation einen Crash des Tether auslösen können. Aber was für ein Ereignis wäre das gewesen?
Hier kann man nur raten. Chronologisch gibt es einen interessanten Zusammenhang: Am 2. November veröffentlichte das Wall Street Journal ein Video darüber, wie Russland die afrikanischen Wagner-Operationen nach dem Tod von Jewgenij Prigoschin umstrukturiert. Aus dem Verteidigungsministerium und Geheimdienst werden neue Wagner-Generäle ernannt, zwei Oligarchen ersetzen Prigoschin als Finanzierer. Im September reist die neue Wagner-Führung nach Libyen, Burkina Faso, Mali und die Zentralafrikanische Republik.
Dann fällt ein interessanter Satz im Video: Die neue Führungsriege stehe vor der Herausforderung, „ein komplett neues Netzwerk zu schaffen, von unaufspürbaren, unsanktionierbaren Organisationen und Entitäten, die sich Werte und Geld senden“. Sie müssen also auch dafür sorgen, dass die Rubel aus dem Heimatland in irgendeiner brauchbaren Form vorbei an den Sanktionen an der afrikanischen Front ankommen.
Man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass Bitcoin, USDT und Naira eine wichtige Rolle dabei spielen. Gut möglich, dass in diesem Zuge die Nachfrage nach Naira vorübergehend explodiert, etwa wenn die neue Führung bestimmte Transaktionen plant oder Einheiten umgruppiert.
Aber all das ist, um es noch einmal zu sagen, eine Vermutung. Am wahrscheinlichsten ist die langweiligste Erklärung: Der P2P-Markt hat wegen der geringeren Liquidität und dem Spekulationshunger der Krypto-Trader schlicht hysterischer reagiert als der behäbige, auf Bargeld basierende Schwarzmarkt.