“Bitcoin wird ein Qualitätsstandard”
Immer wieder teilen Vertreter der europäischen Institutionen gegen Bitcoin aus. Zu hohe Volatilität, Umweltverschmutzung, Cyberkriminalität – einige Argumente der Bitcoin-Skeptiker kommen direkt aus dem Jahr 2017. Doch es gibt auch positive Ausnahmen. Der EU-Blockchain-Experte Dr. Joachim Schwerin setzt sich schon lange intensiv mit Bitcoin und Krypto auseinander. Im Gespräch mit BTC-ECHO erklärt er, wie die Entscheider in Brüssel wirklich ticken und wie resilient Bitcoin gegenüber ihrer Kritik ist. Außerdem: Warum Stablecoins durch geopolitische Umbrüche an Relevanz gewinnen und welche Rolle Bitcoin im globalen Finanzsystem der Zukunft spielen wird.
Die EU hatte sich mit der MiCA-Regulierung eigentlich als Vorreiter positioniert. Dennoch gibt es Vorkommnisse wie den kürzlich erschienenen, Bitcoin-kritischen Blogbeitrag von zwei EZB-Vertretern. Schadet damit die Zentralbank nicht in erster Linie dem eigenen Prestige?
Dr. Joachim Schwerin: Die EU-Organisationen, also Kommission, Parlament und Rat, die die MiCA-Regulierung verantworten, und die EZB mit ihrer Funktion für die Eurozone sind zwei gänzlich unterschiedliche Dinge. Bitcoin hat sich weltweit etabliert und nimmt in verschiedensten Anwendungsbereichen immer mehr Fahrt auf; dies viel schneller, als zu erwarten war. Ich respektiere jede skeptische Meinung, aber notwendigerweise subjektive Wahrnehmungen ersetzen keine Fakten und sollten auch nicht von der eigenen Kernaufgabe ablenken.
Nach eigener Aussage der EZB ist dies für sie selbst die Gestaltung und Durchführung der Wirtschafts- und Währungspolitik in der Eurozone mit Preisstabilität als wichtigstem Ziel, um Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu unterstützen. Da kann ich für die Zukunft nur viel Erfolg wünschen.
Beeinflussen solche Statements die Kurse?
Ohne jeden Zweifel: nein. Wir haben uns schon vor Jahren damit auseinandergesetzt, welche Auswirkungen es auf die Preise von Kryptowährungen hat, wenn in der Mainstream-Presse sowie von Vertretern konkurrierender Währungssysteme bestimmte Aussagen getroffen werden. Modelliert man das ökonomisch etwa in einer Regressionsanalyse, dann ist ein Zusammenhang schlichtweg nicht vorhanden.
Gleiches gilt für die Veränderung fundamentaler makroökonomischer Variablen, die andere Anlageklassen sehr wohl beeinflussen, Bitcoin hingegen nicht. Der bezeichnende Titel eines wissenschaftlichen Papieres hierzu ist der „Bitcoin-Macro Disconnect“. Der Bitcoin-Preis reagiert sehr wohl auf bestimmte Einflüsse von außen, aber beachtlich wenig auf Signale jedweder Art aus dem traditionellen Geld- und Finanzsystem.
Die EU-Kommission wiederum will seit Ende 2022 Energieeffizienz-Label für Blockchains einführen. Proof-of-Work wurde vor diesem Hintergrund als “relativ veralteter” Konsensmechanismus bezeichnet. Was ist der aktuelle Stand und wie schätzen Sie das Vorhaben ein?
Das war eine punktuelle Aussage in einem aus einem anderen Kontext gespeisten Dokument, dem keine Präzedenzwirkung zukommt. Ein Aktionsplan aus dem Jahre 2022, der zahlreiche Einzelmaßnahmen umfaßt, enthält auch den Plan, bis 2025 einen Bericht zu diesem Thema zu erstellen. Bis dahin fließt noch viel Wasser den Rhein hinunter. Priorität und Stoßrichtung dieses Anliegens hängen vor allem stark von der Zusammensetzung des zukünftigen Europäischen Parlaments ab.
Auch in den Mitgliedsstaaten haben wir viele Wahlen. Nach den Erwartungen aller Betrachter geht die Bewegung weg von sehr starker grüner Politikausrichtung und hin zu mehr Realismus. Vor allem greift in Brüssel umfassend die Ansicht um sich, dass man nun mehr als genug Regulierung hat, die man in den nächsten Jahren auf den Markt wirken lassen und dann kritisch hinterfragen muss.
Natürlich bleibt die Umweltthematik relevant, aber als ein Punkt neben vielen. Wir hatten vor einem Monat eine Konferenz in Brüssel zu diesem Thema, und da hielt ein erfreulicher Realismus Einzug, der unter anderem der Einsicht Raum gab, wie nützlich zum Beispiel Bitcoin Mining für die Inklusion unterprivilegierter Bevölkerungsgruppen weltweit ist, übrigens auch hinsichtlich des erstmaligen Entstehens von Energieinfrastruktur in vielen Regionen.
Schaut man sich zudem die Entwicklung von Bitcoin und anderen Alternativen mit Proof-of-Work hinsichtlich der Energieeffizienz an, dann stellt sich dieses Problem ohnehin nicht mehr so sehr wie noch vor einigen Jahren.
Inwiefern?
Die Gesamteffizienz des Minings hat sich stark verbessert, zuletzt auch durch die mit dem Halving einhergehende veränderte Anreizstruktur. Zudem werden weniger CO2-ausstoßende Energieträger verwendet. Die Frage an sich ist aber aus meiner Sicht tendenziös. Schauen Sie sich doch mal an, wie viel die Leute streamen und was wir jetzt an Datenverkehr für irgendwelchen Käse haben. Soll dann das bisschen, was Blockchains brauchen, wirklich ein gesellschaftliches Problem sein? Das sehe ich nicht.
Proof-of-Work ist nach wie vor das demokratischste Prinzip, das wir für Krypto-Bereich haben. Bei Proof-of-Stake sagen zwar auch viele, das sei dezentral, aber das ist so nicht zutreffend. Ein Blockchain-System mit fünf Ebenen, von denen vier dezentral sind und eine nicht, weil eben eine kleine Gruppe die Technik oder das Staking kontrolliert, ist halt insgesamt nicht dezentral. Und daher ist Bitcoin mit der Proof-of-Work-Basierung nach wie vor der Goldstandard. Diese Diskussion hat sich nicht verändert und wird sich auch nicht verändern.
Vor allem durch die Genehmigung der Bitcoin ETFs am 11. Januar hat die SEC zuletzt mehr Aufmerksamkeit bekommen als jede andere Regulierungsbehörde der Welt. Hinken die USA trotzdem nach wie vor der EU hinterher, was Krypto-Regulierung angeht? Und für wie wichtig halten sie die Bitcoin ETFs?
Das sind zwei große Fragen. Den Bitcoin ETF haben Sie in den letzten Monaten sehr intensiv und gut bei BTC-ECHO analysiert, dem ist wenig hinzuzufügen. Was die andere Frage betrifft, so haben wir einerseits mit der MiCA die Vorreiterrolle eingenommen, aber wir sehen jetzt auch um so deutlicher, wo in der Praxis die ganzen Probleme liegen. Mit dem Text der MiCA-Verordnung haben wir aus meiner Sicht 10 Prozent der Probleme gelöst, aber 90 Prozent der Probleme betreffen die technischen Standards sowie die nationale Umsetzung und alles, was danach folgt.
Deshalb müssen wir genau beobachten, wer durch die Tür, die MiCA ein wenig geöffnet hat, tatsächlich durchgeht, also wer die Anbieter sind, die nun tatsächlich in der EU aktiv werden. Da ist das Tempo noch nicht überzeugend hoch. Zumindest jedoch ist dieser Prozess schon mal in Gang gekommen. Die USA hinken hier noch hinterher, doch das kann sich relativ schnell ändern.
Wie wäre das möglich?
Von vielen Diskussionen weiß ich, dass man dort erstmal auf die Wahlen warten möchte, aber danach wird der Druck zum Handeln dringlich. Großbritannien prescht in diesem Sommer vor mit der Stablecoin-Regulierung, und auch andernorts ist viel Bewegung im Markt. Natürlich realisieren die USA, dass zwar über 99 Prozent der Stablecoins Dollar-denominiert sind, doch die Bedeutung des Dollars geht global rapide zurück.
Deshalb sehen die USA in Stablecoins eine Möglichkeit, ihre Macht zumindest ein wenig zu zementieren, wenn sie dieses Thema zwar oberflächlich liberal, aber natürlich US-zentriert angehen. Deshalb erwarte ich, dass wir Regulierungsinitiativen sehen werden, die insbesondere auf für die USA interessante Märkte abzielen. Das dürfte einen großen Einfluss auf die globale Diskussion haben.
Welche Rolle spielen die Dollar-Stablecoins in den Schwellenländern? Die Adoption scheint dort ja schneller voranzugehen als im Westen.
Die Adaption ist umso schneller, je weniger hemmende bestehende Strukturen es gibt. Wir können uns durchaus zurecht beschweren, dass bei uns alles schneller gehen könnte und dass das bestehende System vieles blockiert. Auf der anderen Seite haben wir zumindest ein bestehendes System. Wenn Leute keine vernünftigen Alternativen haben, dann stehen sie anderen Dingen offener gegenüber, was aber nicht unbedingt primär mit dem Dollar zu tun hat. Es geht einfach um verfügbare Alternativen.
In den vergangenen beiden Jahren gab es einen massiven geopolitischen Umbruch hinsichtlich der Zuwendung zu anderen Währungen. Lange haben wir nur über Transaktionen in chinesischer Währung geredet, aber schauen Sie sich mal die indische Rupie oder weitere Alternativen an. Wenn wir dann noch über die Tokenisierung aller Arten von Assets reden, dann sehen Sie, dass wir gerade am Beginn eines fundamentalen globalen Umbruchs stehen.
Was ist der Grund dieser Entwicklung?
Das liegt an den weltweiten Spannungen, aber auch daran, dass diese Länder sehr schnell digitalisieren und neue Möglichkeiten kreieren. Das heißt, wir werden weiterhin außerhalb von Europa eine schnellere Adoption von Stablecoins, vor allem aber auch von anderen innovativen Token-Lösungen sehen. Ich bin davon überzeugt, dass wir in fünf Jahren nicht mehr primär über Dollar-Stablecoins – und vielleicht auch nicht mehr über Stablecoins an sich, zumindest in diesem Ausmaß – reden, sondern eher über tokenisierte Assets, die liquide gehandelt werden können, zum Beispiel Gold, Diamanten oder Bodenschätze. Sie können letztlich alles tokenisieren und als Reserve nehmen für digitale Zahlungen.
Halten Sie das für möglich, dass ein Libra-ähnliches Projekt irgendwann doch zugelassen wird und sich durchsetzen kann, also ein Stablecoin, der eine Art Währungskorb darstellt?
Tatsächlich bin ich vollkommen überzeugt davon, dass es über kurz oder lang eine private Lösung geben wird, die vieles in den Schatten stellen wird, was damals mit Libra angedacht war. Libra kam zu früh, und das hat dann die entsprechende Reaktion nach sich gezogen. Die erste allergische Reaktion ist immer die stärkste in diesem Bereich. Sie werden über kurz oder lang ein globales, funktionsfähiges System brauchen, allein um den ganzen Bereich Gaming mit vier Milliarden Nutzern, mit Metaverse und all diesen Dingen abzudecken. Und am wahrscheinlichsten ist, dass das aus dem privaten Bereich kommt. Dann haben wir vielleicht wieder eine ähnliche regulatorische Diskussion, aber die Welt ist groß und irgendwo wird der sichere Hafen für so einen Anbieter in einem dann dezentralen und von oben nicht mehr kontrollierbaren Web3 sein.
Sie befassen sich auch schon lange mit Bitcoin als dezentralem Geld. Halten Sie es für realistisch, dass Bitcoin in einigen Jahrzehnten ein globaler Wertspeicher sein kann, der sowohl von Privatpersonen als auch Unternehmen und vielleicht sogar von Notenbanken genutzt wird?
Ich denke zumindest, dass Bitcoin hierbei eine Rolle spielen wird. Und ich glaube, dass wir bis dahin wieder neue und andere faszinierende Dinge sehen werden. Als überzeugter Freund von Gold sage ich: Gold gehört in jedes Portfolio, aber Bitcoin auch. Davon bin ich felsenfest davon überzeugt. Natürlich wird es auch Rückschläge geben, aber ohne jeden Zweifel wird Bitcoin in zwanzig bis dreißig Jahren ein Qualitätsstandard sein, also ein etablierter Teil des globalen Finanzsystem – das dann übrigens der Web3-Logik gemäß ein Wertesystem und kein traditionelles Geld- oder Finanzsystem mehr sein wird. Ich hoffe aber auch, dass sich Alternativen wie Privacy Coins bis dahin stärker entwickeln, denn diese sind neben Bitcoin die sinnvollste Krypto-Innovation.
Was steht dem aktuell im Weg?
Im Moment erleben wir ein Deplatforming, weil mehr oder weniger subtiler Druck ausgeübt wird auf die großen Krypto-Börsen, um Monero und Co. runterzunehmen. Ich selber sehe allerdings großen Nutzen in Privacy Coins und denke auch, dass sie am ehesten der Bedeutung und den Funktionalitäten von Bargeld nahekommen. Je mehr staatlichem Druck sie ausgesetzt werden, desto mehr werden Leute sich aber auch radikaleren dezentraleren Lösungen zuwenden und versuchen, diese zu einem Standard zu entwickeln.
Wie geht die gesamte Entwicklung nun weiter?
Seit über 15 Jahren gibt es Bitcoin. Und wir werden in 15 bis 20 Jahren weitere neue Dinge haben, von denen wir heute noch gar nicht träumen. Das finde ich wirklich sehr spannend. Aber zeitgleich neben all diesen radikalen Innovationen werden wir weiterhin Bargeld haben, ebenso Gold und Diamanten, und wir werden noch Leute haben, die Gemälde, alte Bücher und Oldtimer sammeln, um von Wohneigentum und Ähnlichem gar nicht zu reden. Das ist doch großartig, denn wir erweitern beständig unseren Handlungsspielraum und werden viele neue Dinge haben, aber gleichzeitig bleiben uns die qualitätvollen alten erhalten – mit der Betonung auf „qualitätvoll“.
In früheren Jahrhunderten haben sich Herrscher gerne von ihren Hofmalern mit Accessoires abbilden lassen, darunter oftmals ein Totenkopf. Der symbolisiert als Memento Mori die eigene Vergänglichkeit. Ich wünsche mehr Menschen, die aktuell noch machtvolle Organisationen repräsentieren, diese Fähigkeit zur selbstkritischen Relativierung. Vieles, was jetzt noch stabil aussieht, zerfällt sehenden Auges. Wie aber gerade angemerkt, bleibt auch dasjenige erhalten, das wirklichen Wert für die Gemeinschaft hat, und das ist zum Abschluss unseres heutigen Gespräches doch ein positiver Gedanke.