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Die Türkei: Krypto-Drehscheibe zwischen Eurasien und Arabien?

Die Türkei ist mittlerweile ein ausgeprägter Krypto-Hub – und die Türkische Lira, je nach Schätzung, im globalen Krypto-Markt so wichtig wie der Euro. Grund genug, einen Blick auf die Krypto-Ökonomie des Landes zu werfen.

Eine Methode, um die Bedeutung eines Landes in Krypto zu messen, ist es, zu schätzen, welchen Anteil seine Fiatwährung am globalen Handelsvolumen hat.

Auch wenn die Ergebnisse je nach Schätzung voneinander abweichen, ist die Türkei nach dieser Metrik einer der Top-Standorte der Kryptowirtschaft. Je nach Bericht ist das Handelsvolumen in Türkischer Lira auf dem vierten bis sechsten Platz weltweit, mal knapp vor, mal knapp hinter dem Euro.

Eckdaten des türkischen Kryptomarktes

Laut Kaiko Research hat der Marktanteil der Türkischen Lira in Krypto im Juni ein Allzeithoch von 19 Prozent erreicht. Das kumulierte Jahresvolumen erreichte schon im Juli dieses Jahres 95 Milliarden Dollar, was etwa dem gesamten Umsatz von 2023 entspricht. Seit 2022 sei die Lira nach dem Dollar, dem koreanischen Won und dem Euro die viertstärkste Fiat-Währung im Kryptomarkt. Im Juni hat der Lira den Euro sogar kurzzeitig überholt.

Nicht jede Statistik stimmt dem exakt bei, doch keine gibt einen Zweifel daran, dass sich die Türkei als Krypto-Hub in der Region etabliert hat.

Ab Ende 2020 hat sich der türkische Markt stark gewandelt. Hatte zuvor noch die türkische Börse BTCTurk 95 Prozent des Marktanteils, sind es nun nur noch etwa 13 Prozent. Der neue Herrscher des Marktes ist die große, internationale Börse Binance, die seit Ende 2020 offensiv auf den türkischen Markt drängt und rasch neue Handelspaare für die Lira einführt.

Lira-Krypto-Handel auf BTCTurk (blau) und Binance (orange). Quelle: Kaiko Research.

Klar am wichtigsten ist der Handel mit USDT, also Tether-Dollar. Er allein machte 2024 22 Milliarden Dollar aus. Danach folgen erstaunlicherweise Memecoins wie Pepe, Floki, Shiba, Bonk, und erst dann, mit geringem Abstand, Bitcoin. Türkische User sparen offenbar eher in Dollar als in Bitcoin und spekulieren lieber auf Memecoins als auf andere Kryptowährungen.

Internationale Börsen, wie Gate.io, KuCoin und OKX haben den Markt betreten, tun sich aber schwer, relevante Marktanteile zu erhalten.

Viele technikbegeisterte junge Menschen

Die wachsende Stellung der Türkischen Lira führt Kaiko einerseits auf die hohe Inflation in der Türkei zurück, andererseits darauf, dass großen Börsen, wie Binance, Bankprobleme mit Britischen Pfund und Australischen Dollar haben. Nicht der Lira wird stärker – die anderen werden schwächer.

Doch neben diesen „makroökonomischen“ oder externen Faktoren spielt auch die lebhafte Krypto-Szene in der Türkei eine Rolle. Laut Kaiko hat bereits die Hälfte der Bevölkerung in Kryptowährungen investiert, darunter viele technikbegeisterte oder „unbanked“, also bankkontolose junge Menschen.

Selbst die „International Trade Administration“ (ITA), eine Informationsseite der US-Regierung für Unternehmen, „um auf dem globalen Marktplatz zu konkurrieren“, empfiehlt, sich mit dem türkischen Markt zu beschäftigen. Zwar habe die Türkei 2021 verboten, Kryptowährungen als Zahlungsmittel zu verwenden. Doch anstatt zu verbieten, setze das Land nun auf Regulierung und Besteuerung.

Mit dem MTP-Programm plant die Regierung in Ankara, in den Jahren 2024-2026 die digitale Transformation zu stärken, auch durch Blockchain und Kryptowährungen. Diese Aussicht sowie die starke Nachfrage der Bevölkerung macht, so die ITA, „die Türkei zum Schlüsselakteur in den globalen Märkten für Blockchain und Kryptowährungen und zieht Auslandsinvestments an.“

Die Inflation erreicht einen Rekord

Man kann das Wachstum in der Türkei optimistisch durch einen aus sich selbst heraus wachsenden Krypto-Markt erklären. Man kann es aber auch „makroökonomisch“ begründen – nämlich durch die Inflation, den geldpolitisch vorherrschenden Prozess in der Türkei.

Die Türkische Lira ist im Lauf der letzten 12 Monate um fast 20 Prozent gegenüber dem Dollar gefallen. Damit setzt sie einen Niedergang fort, der sie schon seit Jahren Stück für Stück entwertet. Im Lauf der letzten fünf Jahre hat die Lira mehr als 80 Prozent verloren, seit 2010 sogar 95 Prozent. Sie ist derzeit einer der Shitcoins unter den globalen Fiatwährungen.

Der Wert der Türkischen Lira gegen den Dollar nach Google Finance.

Im Juli ist die Inflationsrate etwas gefallen – auf 62 Prozent. Im Juni hatte sie noch fast 72 Prozent betragen, im Mai mit 75 Prozent einen Höhepunkt erreicht.

Die hohe Inflation hatte einen sonderbaren Effekt: Viele Touristen, auch aus der Türkei selbst, machten in Griechenland Urlaub, da es dort günstiger war. Ein Direktor eines Tourismusverbandes gibt der Regierung die Schuld: da sie strenger gegen Fremdwährungen angehe, habe sie die Lira trotz der inflationären Umgebung überbewertet.

Weil die Lira durch die Handelsbeschränkungen also höher steht, als sie eigentlich sollte, steigen die Preise, auch in Euro bemessen, ungewöhnlich stark an. Preise für Hotels, für Dienstleistungen, die Gastronomie und Eintritte zu Sehenswürdigkeiten explodieren. Speisen und Getränke für fünf Personen können Berichten zufolge auch mal 600 Dollar kosten, fünf Becher Eis mit 30, der Eintritt ins antike Ephesus mit 40 Euro aif dem Geldbeutel schlagen. Kein Wunder ist Griechenland günstiger.

Aber es gibt auch Hinweise darauf, dass die Türkische Lira aus ihrem Tal herausfindet. Dank der hohen Leitzinsen von etwa 50 Prozent sind türkische Lira auf den Finanzmärkten begehrt. Hedgefonds und andere Anleger haben seit letzten Oktober rund 24 Milliarden Dollar in Lira gesteckt, in der Aussicht, dass die Inflation nachlässt.

Der Leitzins liegt über der Inflation – ein erster Schritt zur Heilung?

Nachdem die Türkei auf Geheiß der Regierung Erdogan lange die konventionelle geldpolitische Ökonomie abgelehnt hat, versucht die Zentralbank nun seit etwa einem Jahr, die Inflationsrate zu zu senken, indem sie harte Währungen akkumuliert und die Zinsen hoch hält. Die ersten Erfolge kommen in Reichweite, fürs Ende dieses Jahres schätzt die Zentralbank eine Inflationsrate von „nur“ noch 43 Prozent.

Der Handel mit Russland und die Finanzsanktionen

Neben der hohen Inflation leidet die türkische Wirtschaft unter den Sanktionen gegen Russland. Lange Zeit hatten türkische Unternehmen dank der Neutralität der Türkei weiterhin Handel mit Russland betreiben können. Sie konnten sogar den Import aus und Export nach Russland erheblich steigern. Dies gab auch Verdacht, dass die Türkei ein Drehkreuz der Sanktionsumgehung ist – oder zumindest von ihnen profitiert.

Sowohl die USA als auch Großbritannien haben einzelne türkische Unternehmen deswegen sanktioniert. Doch erst seit die USA „sekundäre“ Sanktionen eingeführt hat, rutschen viele Unternehmen im türkisch-russischen Handel in Liquiditätsengpässe. Finanzinstitute unter amerikanischer Jurisdiktion dürfen keinen indirekten Kontakt mit Unternehmen haben, die Güter nach Russland exportieren, welche auch für die Kriegswirtschaft verwendet werden könnten. Türkische Banken fürchten, dadurch den Zugang um Dollarmarkt zu verlieren, was es schwierig macht, Zahlungen für Exporte anzunehmen. Dies trifft vor allem den Maschinenbau stark.

Geostrategisch hat die Türkei eine besondere Stellung zwischen Ost und West.

Inwieweit Kryptowährungen hier hineinspielen, ist schwer zu sagen. Als Drehkreuz zwischen Euroasien und Arabien könnte die Türkei sowohl eine Rolle dabei spielen, Sanktionen gegen Russland zu unterlaufen – als auch gegen den Iran sowie islamistische Terrororganisationen. So steht derzeit etwa die staatliche Halkbank unter Anklage, beigetragen zu haben, Öl- und Gaslieferungen aus dem Iran gewaschen zu haben.

Es gibt zwar Berichte darüber, dass verschiedene Terrorgruppen, etwa der Islamische Staat, über Mittelsmänner in der Türkei Bargeld, Apps und Kryptowährungen verwendeten, um Geld zu schmuggeln. Aber insgesamt gibt es nur sehr wenige und dann auch nur veraltete Berichte darüber, dass hier eine Bewegung hin zu Kryptowährungen stattfindet.

Nichtsdestoweniger zieht die Regierung die Schrauben an. Bis Juli fand der Kryptohandel in der Türkei noch in einer rechtlichen Grauzone statt, ohne Rechtssicherheit auf der einen, ohne verlässliche Maßnahmen gegen Geldwäsche auf der anderen Seite. Daher war das Land bis Juni noch auf der Grauen Liste der Financial Action Task Force (FATF), weil es nicht entschieden genug gegen Geldwäsche vorging. Mittlerweile hat das internationale Gremium jedoch anerkannt, dass die Türkei Fortschritte macht.

Die Regulierung des Kryptosektors gilt aber weiterhin als unzureichend. Dies könnte sich durch ein jüngst verabschiedetes Gesetz ändern, welches Krypto-Unternehmen verpflichtet, sich bei der Kapitalmarktaufsicht anzumelden.

Quelle

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