Einfrieren wie ein Weltmeister
Die Schlagzahl steigt: Tether, Herausgeberin des wichtigsten Stablecoins USDT, setzt immer mehr Accounts auf eine Blacklist. Wir haben diese Orgie der Onchain-Konfiszierung analysiert.
Der Stablecoin-Anbieter Tether (USDT) gilt als Piraten-Dollar – und zwar ganz und gar zu unrecht. Zwar sind die USDT bei Kriminellen beliebt, unter anderem bei Betrügern, Hackern oder Schmugglern, weil sie vermeintlich so frei sind wie Bitcoin, ohne aber im Wert zu schwanken. Doch tatsächlich wurde Tether schon lange zum willfährigen Helfer des Gesetzesvollzugs.
In einer gemeinsamen Analyse illustrieren Bitcoinblog.de und Ghostie die vermutlich größte, unkontrollierte Enteignungswelle durch ein privates Finanzinstitut, die es jemals gegeben hat. Tether, die Firma, die den Stablecoin herausgibt, setzt jeden Tag Accounts auf eine Blacklist, so dass deren Besitzer die Dollar-Token nicht länger überweisen können.
Tether fungiert dabei als Kläger, Richter und Vollzieher. Eine rechtsstaatliche Kontrolle gibt es nicht. Jeder Schrecken, der in digitales Zentralbankgeld (CBDC) hinein projiziert wird, erscheint niedlich im Vergleich zu dem, was bereits passiert.
Onchain per Smart Contract konfiszieren
Die einzige Art von Kontrolle, die User von Tether haben, ist die Transparenz der Blockchain. Immerhin. Alles, was auf einer Blockchain passiert, in diesem Fall Ethereum (ETH) und Tron (TRX), ist öffentlich sichtbar. So auch jede einzelne Konfiszierung durch Tether.
Die Tether-Token werden von einem Smart Contract verwaltet. Dieser enthält, anders als bei Bitcoin oder dezentralen Stablecoins wie die DAI-Dollar, die Funktion, Adressen auf eine Blacklist zu setzen. Wenn dies geschieht, sind die USDT onchain eingefroren, so dass es gegen die Konsens-Regeln verstößt, sie fortan zu bewegen. Diese Funktion integriert jeder zentrale Herausgeber von Stablecoins, auch USDC und andere.
Anfangs hat Tether zaghaft Gebrauch von dieser Funktion gemacht, und wohl nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ. 2017 wurden gerade mal 30 USDT eingefroren, 2018 keine 50.000, und noch 2019 waren es weniger als zwei Millionen. Das war die Zeit, in der Tether sich als Piraten-Dollar aufstellte.
Doch seit 2021 kassiert Tether mit zunehmender Begeisterung immer mehr Adressen ein. Der Trend setzt sich nicht nur fort, sondern beschleunigt sich derzeit noch. Wir haben uns die Mühe gemacht, die offen vorliegenden Daten zu sammeln und auszuwerten.
2024 auf Rekordjagd
Beginnen wir mit den nackten Zahlen. Mit 523,9 Millionen eingefrorenen USDT ist 2024 bereits heute ein Rekordjahr für die Blacklist. 2023 liegt zwar nur knapp dahinter, doch dies kommt vor allem von einigen wenigen, sehr hohen Konfiszierungen im November und Dezember. In den Jahren zuvor lagen die Summen sehr viel niedriger. Der folgende Chart zeigt eingefrorene USDT in Millionen Dollar.
Insgesamt hat Tether bis Ende September 2024 ganze 3.150 Adressen eingefroren, davon 1.812 auf Ethereum und 1.338 auf Tron. Die Summe der insgesamt eingefrorenen Tether beträgt rund 2,1 Milliarden.
Im September hat Tether am Tag rund 4 Millionen Dollar auf die Blacklist gesetzt, geht es in diesem Tempo weiter, wird das Unternehmen allein 2024 rund 1,2 Milliarden Dollar konfiszieren – was rund einem Prozent aller existierenden USDT entspräche.
Interessant ist dabei der Vergleich mit dem zweitstärksten Stablecoin USDC. Auch dieser Coin führt im Smart Contract eine Blacklist und macht von dieser Gebrauch. Allerdings in viel geringerem Ausmaß.
Während USDC kaum mehr als fünf Millionen USDC je Quartal einfriert, selbst in Ausnahme-Quartalen keine 70 Millionen, kassiert Tether seit dem dritten Quartal stets mehr als 50 Millionen ein. Tether friert mindestens zehn mal so viele Token ein wie USDC, obwohl die Marktkapitalisierung mit 120 zu 36 Milliarden Dollar nicht einmal vier mal so hoch steht.
Ob dies aber daran liegt, dass Tether strenger prüft oder schlicht mehr von Kriminellen benutzt wird, ist schwer zu sagen. In jedem Fall ist die Vorstellung fragwürdig, USDT sei irgendwie weniger regulierter und abhängiger als USDC.
Zerstörung oder Freiheit
Wenn ein Account auf der Blacklist landet, gibt es zwei mögliche Fortsetzungen: Der Account wird von der Blacklist entfernt, etwa wenn der Verdacht unbegründet war. Dies geschah bisher bei 135 Adressen mit gut zwei Millionen Dollar. Dies zeigt, dass Tether auch auf einen Verdacht hin Accounts einfriert.
Die andere Option ist die Zerstörung der Token. Allein seit August hat Tether gut 24 Millionen USDT verbrannt. Die Token hören zwar auf, zu existieren, doch vermutlich besitzt Tether weiterhin die Dollar, die es einmal erhalten hat, um die USDT zu schaffen. „Banning-as-a-Service“, wenn man es so nennen mag, ist ein profitables Geschäft.
Vor allem aber zeigen die Zahlen, dass nur ein geringer Teil der eingefrorenen Coins freigesetzt oder zerstört wird. Der mit weitem Abstand größte Teil bleibt im Nirwana der Blacklist.
Kläger, Richter, Henker, Polizei
Die schon das ganze Jahr über hohe Betriebsamkeit der Tether-Blacklist hat sich im September noch einmal gesteigert. Im ersten Halbjahr landeten am Tag 2,9 Millionen USDT auf der Blacklist, im September waren es bereits 4 Millionen.
Dies fällt mit einem konkreten Ereignis zusammen: Anfang September hat Tether mit Tron und TRM Labs das Analyse-Institut T3 FCU gegründet, eine privatwirtschaftliche Financial Intelligence Unit (FIU), wie sie in Deutschland etwa der Zoll in Augsburg betreibt. T3 soll Tether helfen, kriminellen Missbrauch zügig zu erkennen und zu ahnden.
Das mag an sich eine ehrbare Absicht sein. Doch die Kooperation macht Tether zu Kläger, Ermittler, Richter und Henker: Das Unternehmen legitimiert sich selbst, willkürlich Dollar-Token der User zu konfiszieren. Es gibt keine Gewaltenteilung, keine Rechtsstaatlichkeit, keine Kontrolle.
Über die Sanktionslisten hinaus
Dabei geht Tether weit über das hinaus, was offiziell verlangt wird. Das Finanzministerium der USA führ die OFAC-Listen mit sanktionierten Personen und Unternehmen. Darin findet man immer öfter auch Krypto-Adressen. Die meisten regulierten Börsen haben keine andere Wahl, als diese Blacklisten umzusetzen.
So auch Tether. Manche der Adressen auf Blacklisten finden sich in einem Sanktionsexplorer wie OpenSanctions. Etwa gegen Yunhe Wang, den Administrator eines Botnets; den russischen Drohnenhersteller OKO Design Büro; den russischen Ransomware-Entwickler Ivan Kondratev; den lateinamerikanischen Drogenhändler Jimenez Castro, die nordkoreanische Lazarus-Gruppe, den Mixer Tornado.Cash, um Beispiele aus dem Jahr 2024 zu nennen.
Auch Listen anderer Regierungen berücksichtigt Tether. Im Mai fror es etwa USDT von Personen ein, die Israel des Terrors beschuldigt.
In solchen Fällen kann man gut nachvollziehen, aus welchen Gründen Adressen gesperrt werden. In den allermeisten Fällen friert Tether aber unabhängig von Sanktionslisten ein. Dann fehlt jede rechtsstaatliche Transparenz.
Manchmal findet man per Google einige Informationen. Etwa bei einigen sehr großen Adressen, wie
0x99EBAF3661065DC1E44fEff4b80365678BdFF6ce (64,7 Mio) oder
0x82E1d4DDd636857Ebcf6a0e74B9b0929C158D7FB (87,5 Mio).
Beide gehören zu den Top-100-Tether-Adressen und stehen im Zusammenhang mit einer Betrugsmasche, Pig Butchering. In den USA wurde gegen ihre Besitzer Anklage erhoben, allerdings ohne dass die Adressen Eingang in die offiziellen Sanktionslisten fanden.
Doch der Großteil der eingefrorenen Adressen bleibt in Dunkelheit gehüllt. Selbst über Adressen wie die 0x186E6139cd55902fAa3d70b4cd866E7237d2F6eD, die immerhin fast 17,5 Millionen eingefrorener USDT enthält, ist mit einer Websuche nichts heraus zu kriegen.
Nach Willkür und Belieben
Möglicherweise handelt Tether nach bestem Wissen und Gewissen. Möglicherweise verlieren tatsächlich nur Kriminelle nach eingehender Prüfung und intensiver Zusammenarbeit mit der Polizei ihre Tether. Doch weder schafft Tether Transparenz noch lassen sich zuverlässig Verbindungen zu Gerichtsprozessen und -urteilen ziehen.
Am Ende gehören alle USDT ihrer Herausgeberin Tether, die mittlerweile nach eigenem Ermessen – man könnte auch sagen, mit Willkür – immer mehr Accounts einfriert und Guthaben zerstört. Für das Unternehmen ist es lukrativ, für die User schafft es Unsicherheit. Und mit Bitcoin hat es nichts mehr zu tun.