Tether friert 225 Millionen USDT onchain ein und kooperiert mit Secret Service
Tether, die Herausgeberin des größten Stablecoins USDT, friert im Zusammenhang mit einem “Pig Butchering” Betrug den bisher größten Betrag USDT onchain ein. Das Unternehmen positioniert sich entschieden als Vertreter von Recht und Ordnung.
Am 20. November rühmte sich Tether, die Herausgeberin des Stablecoins USDT, ihrer Zusammenarbeit mit der Strafverfolgung.
„Das größte Unternehmen im Krypto-Ökosystem“, wie sich Tether nun selbstbewusst nennt, habe zusammen mit der Börse OKX und Chainalysis den Gesetzeshütern bei einer Ermittlung geholfen. Das Ergebnis der Ermittlungen führte dazu, dass Tether „proaktiv und freiwillig“ etwa 225 Millionen USDT einfror. Diese USDT lagen in „self custodial Wallets“, und gehörten zu einem „internationalen Syndikat für Menschenhandel (human trafficking) in Südost-Asien“, das hinter einer globalen Welle des „Pig Butchering“-Betrugs steckte.
Nie zuvor hat Tether eine so große Menge USDT eingefroren. Dass die Token nicht auf einer Börse lagen, sondern in Wallets, die die Schlüssel selbst verwahrten, macht den Fall interessant. Die USDT werden von einem Smart Contract regiert, auf den Tether Zugriff hat. Über Blacklists kann das Unternehmen jeden Tether im Umlauf einfrieren, möglicherweise auch anderen Adressen den Zugriff auf diese geben, etwa den Opfern des „Pig Butchering“.
Bei dieser Disziplin des Cybercrimes handelt es sich um einen Mix aus Heiratsschwindel und Investmentbetrug: Die Betrüger suchen sich über soziale Medien und Dating-Apps ein Opfer, setzen dann ein zu diesem passendes Profil auf, treten mit ihm in Kontakt und wickeln ihn mit Nachrichten und Telefonaten um den Finger. Während man das Vertrauen des Schweins („Pig“) gewinnt, erzählt der Betrüger von einem Investment-Portal für Kryptowährungen, um es langsam dahin zu bringen, größere Beträge zu investieren. Wenn das Schwein geschlachtet wird („slaughter“), entlarvt sich die Plattform als Fake.
Wie aber ein „Syndikat für Menschenschmuggel“ mit diesem rein online ablaufenden Betrug in Verbindung steht, verrät Tether nicht. Nutzt es junge Frauen aus, um mit den Opfern zu chatten, oder sie gar zu treffen? Oder fällt diese Art von “Romance Scam” einfach nur in sein Kompetenzfeld?
Vielleicht gibt die Meldung des Justizministeriums der USA (DoJ) eine Antwort, die einen Tag später erschien, am 21. November.
Das DoJ kündigt an, Tether beschlagnahmt zu haben, die man zur Krypto-Adressen zurückverfolgt habe, welche mit einer Organisation verbunden sind, die mehr als 70 Opfer über „Pig Butchering“ über den Tisch gezogen habe. Allerdings wurden nicht 225 Millionen USDT beschlagnahmt, sondern lediglich neun. Eventuell war bisher nur bei einem Teil der von Tether eingefrorenen USDT die kriminelle Herkunft nachweisbar.
Mit dem Zugriff habe man „die finanzielle Infrastruktur eines organisierten Netzwerks von Betrügern“ erschüttert, kommentiert das Ministerium großspurig. Es nennt einige Details über die beteiligten Webseiten – angebliche Börsen, die „in Wahrheit nicht existierten“ – über die an den Scam anschließende Geldwäsche – „die Gelder wurden zügig durch Dutzende von Kryptowährungsadressen und Börsen und andere Blockchains gewaschen, eine Technik, die man ‚Chain Hopping‘ nennt“ – und über die beteiligten Akteure bei der Aufdeckung und Nachverfolgung – das FBI, die FTC (Federal Trader Commission), der Secret Service (USSS) San Francisco. Aber welche Rolle ein Menschenhändler-Ring dabei spielte, bleibt unklar.
Hat Tether eventuell etwas dick aufgetragen? Aber warum? Um sich selbst vor der Community zu rechtfertigen? Um irgendwie weiter anarchokapitalistisch zu wirken, während man sich vor dem Staat auf den Rücken wirft?
Das Wording der Pressemitteilung von Tether könnte darauf hindeuten. Tether beteuert immer wieder, dass man „proaktiv“ ermittelt und die Token „freiwillig“ eingefroren habe. Man setze damit ein Beispiel dafür, „wie Akteure der Branche mit globalen Gesetzeshütern zusammenarbeiten, um kriminelle Nutzer effektiv zu stoppen.“ Dies mache Tether, kommentiert CEO Paolo Ardoino, zum „neuen Standard für Sicherheit im Krypto-Space.“ Ein Stückchen Anbiederung liest sich hier schon heraus, oder?
Man folge „stringenden Know Your Customer (KYC) und Anti-Money Laundering (AML) Protokollen, entsprechend des Bank Secrecy Acts und der Best Practice unter Finanzinstituten,“ fährt die Pressemitteilung fort. Darüber hinaus prüfe Tether alle Kunden gegen die OFAC-Datenbanken der Finanzsanktionen ab und arbeite proaktiv mit Gesetzeshütern zusammen, um „gesetzeswidrige Aktionen durch die Untersuchung verdächtiger Transaktionen auf dem Sekundär-Markt zu verhindern.“
„Sekundärmarkt“ meint hier die USDT, die nicht in den Wallets derer liegen, die sie bei Tether bestellt haben, sondern über weitere Transaktionen ins Ökosystem abgeflossen sind. Die Identifizierung der Besitzer (KYC) von Tether findet nur am Anfang dieses Prozesses statt, bei der Schöpfung, nicht aber auf dem Sekundärmarkt. Mit der Trennung dieser beiden Bereiche versucht Tether vermutlich, sich eines Teils der Verantwortung zu entziehen. Denn würde Tether ein allgemeines KYC einführen, würde der Stablecoin sehr wahrscheinlich über Nacht kollabieren.
Einen Tag später veröffentlicht Tether eine weitere Pressemitteilung, am 21. November. In ihr bekennt sich das Unternehmen „weiter unerschütterlich dazu, illegale Aktivitäten zu bekämpfen, deren Opfer zu unterstützen und der Strafverfolgung zu assistieren.“ Um „die Integrität des finanziellen Ökosystems zu erhalten,“ hat Tether nun „den United Stated Secret Service“ auf die Plattform gebracht „und arbeitet daran, dasselbe mit dem FBI zu tun.“ Was auch immer das konkret heißen soll, so deutet es doch eine intensive Zusammenarbeit an.
Der Secret Service ist eigentlich dafür bekannt, den Präsidenten der USA und seine Familie zu beschützen. Gegründet wurde er aber 1865, um Geldfälschungen zu bekämpfen. Nach der Ermordung von Präsident William McKinley 1901 übernahm er den Schutz des Staatsoberhauptes. Heute ist er vor allem für Finanzkriminalität zuständig, darunter eine weite Reihe von Betrugsmodellen. Mitte 2022 hat er einen „Cryptocurrency Awareness Hub“ eingerichtet, auf dem man auch Krypto-Betrüger melden kann.
Mit der engen Kooperation mit dem USSS und FBI wird Tether, um hier ein Fazit zu ziehen, möglicherweise zu einem Agenten der Dollar-Kontrolle von US-Institutionen. Dies dürfte der Preis sein, den Tether bezahlen muss, um weiter operieren zu dürfen, ohne einen Krieg mit den USA befürchten zu müssen. Tether tritt proaktiv auf, um Straftaten zu ermitteln, friert verdächtige Guthaben ein, und integriert US-Behörden auf seine Plattform. Ganz wie eine Dollar-Bank — nur mit dem Unterschied, dass Tether mehr Autonomie der Benutzer simuliert, während es eine viel weiter gehende Kontrolle ausüben kann.